06.05.2022

Gewohnheitsrecht im Arbeitsrecht: In welchen Fällen besteht ein Anspruch für Arbeitnehmende?

Arbeitszeit, Gehalt und Zusatzzahlungen: Rechte und Pflichten von Beschäftigten ergeben sich aus dem jeweiligen Arbeits- oder Tarifvertrag. Darüber hinaus können sie sich jedoch auch aus dem sogenannten Gewohnheitsrecht ergeben. Das Prinzip ist einfach: Gewährt das arbeitgebende Unternehmen über Jahre hinweg eine bestimmte Leistung, kann er diese nicht einfach plötzlich verweigern. Doch wann genau kommt das Gewohnheitsrecht zur Anwendung? Welche Voraussetzungen gibt es, und was können arbeitgebende Unternehmen dagegen tun?

Was ist das Gewohnheitsrecht? Definition der betrieblichen Übung

Die Bezeichnung „Gewohnheitsrecht“ steht für ein ungeschriebenes Recht von Arbeitnehmenden, das in keinem Gesetzbuch schriftlich fixiert ist. Es regelt Ansprüche, welche sich nicht aus Verordnungen, Arbeits- oder Tarifverträgen ergeben. Vielmehr entsteht der Anspruch, sobald eine bestimmte Leistung des arbeitgebenden Unternehmens:

  • über eine längere Zeit hinweg
  • in beidseitigem Einverständnis
  • regelmäßig wiederholt wird.

 

Also kurz: Aus der Gewohnheit heraus. Ist dies der Fall, wird die Verhaltensweise juristisch als „betriebliche Übung“ bezeichnet. Eine betriebliche Übung spricht Beschäftigten das Recht zu, davon ausgehen zu dürfen, dass das Unternehmen auch in Zukunft diese Leistungen erbringen wird.

Betriebliche Übung: Die Voraussetzungen

Die aktuelle Rechtsprechung geht davon aus, dass eine Leistung über einen Zeitraum von mindestens 3 Jahren erbracht werden muss, damit sie als betriebliche Übung gilt. Folglich ergibt sich erst ab dem vierten Jahr ein rechtlicher Anspruch (vgl. BAG-Urteil, Az.: 10 AZR 266/14). Darüber hinaus darf die Leistung nicht nur einzelnen Beschäftigten gewährt werden. Sie muss den überwiegenden – mindestens jedoch einen abgrenzbaren Teil – der Belegschaft betreffen.

Und: Es dürfen keine abweichenden vertraglichen Vereinbarungen – beispielsweise im Arbeits- oder Tarifvertrag – vorliegen. Diese gehen Ansprüchen aus der betrieblichen Übung vor.

Gewohnheitsrecht am Arbeitsplatz: Beispiele einer betrieblichen Übung

Beschäftigte können sich in Angelegenheiten auf eine betriebliche Übung berufen, wenn diese zwar in einem Vertrag festgelegt werden könnten, dort jedoch nicht geregelt sind. Das gilt unter anderem für:

 

Ein Beispiel: Ein Unternehmen zahlt drei Jahre lang vorbehaltlos Weihnachtsgeld als Zusatzleistung an alle Arbeitnehmenden. Dieses Verhalten begründet im vierten Jahr einen Rechtsanspruch für die Belegschaft. Aus der ehemals freiwilligen Zahlung wird eine betriebliche Übung – also eine Zahlungspflicht.

Gewohnheitsrecht: Arbeitszeiten, Dienstort und Tätigkeitsfeld

Das Gewohnheitsrecht findet regelmäßig seine Grenzen, wenn es mit dem Direktionsrecht des arbeitgebenden Unternehmens kollidiert. Das ist besonders häufig bei den Themen Arbeitszeiten, Dienstort und Tätigkeit der Fall. Der Grund: Das Direktionsrecht gesteht dem Unternehmen zu, den Inhalt, Ort und die Arbeitszeit-Regelungen einer arbeitnehmenden Person im Betrieb bestimmen zu dürfen (§ 106 GewO). Dieses Recht kann nicht durch eine betriebliche Übung eingeschränkt werden.

Ein Beispiel: Ein Teammitglied arbeitet – ohne vertragliche Regelung zur exakten Arbeitszeit – seit 5 Jahren ausschließlich in der Nachtschicht. Eine Versetzung in die Tagschicht wäre zulässig. Denn obwohl die langjährige Beschäftigung in der Nachtschicht eine betriebliche Übung vermuten lässt, kann das Teammitglied aufgrund des Direktionsrechts nicht davon ausgehen, auch zukünftig nur nachts arbeiten zu müssen. Einen ähnlichen Fall verhandelte das LAG Hessen im Jahr 1998 (Az.: 9 Sa 1325/98).

Darüber hinaus sind der Dienstort sowie die Art der Tätigkeit dem Weisungsrecht des Arbeitgebenden zuzuordnen. Auch wenn arbeitnehmende Personen über einen langen Zeitraum am gleichen Dienstort tätig waren, haben sie keinen Anspruch darauf, dass das auch so bleibt. Vielmehr können arbeitgebende Betriebe – je nach Qualifikation und der körperlichen Eignung des Teammitglieds – Änderungen anordnen.

Streit um Gewohnheitsrecht am Arbeitsplatz: Wie löst man Streitfälle?

Oft entsteht das Gewohnheitsrecht nicht geplant, sondern durch mehr oder weniger unbewusste Praktiken im Betrieb. Dadurch können zwischen Unternehmen und Beschäftigten schnell Unklarheiten oder Streitigkeiten entstehen. Eine ALLRECHT Berufsrechtsschutzversicherung bietet Unterstützung bei Streitigkeiten im beruflichen Umfeld und beinhaltet darüber hinaus die Möglichkeit einer Mediation sowie der kostenfreien telefonischen Rechtberatung

Was können Unternehmen gegen das Gewohnheitsrecht tun?

Häufig ist es nicht im Sinn eines Unternehmens, dass aus einer freiwilligen Leistung ein Anspruch für die Belegschaft erwächst. Um das Entstehen einer betrieblichen Übung zu verhindern, kann im Arbeitsvertrag ein Ausschluss des Freiwilligkeitsvorbehaltes vereinbart werden. Darin erklärt das Unternehmen, dass eine bestimmte Leistung zwar freiwillig erbracht wird, dies jedoch keinen zukünftigen Rechtsanspruch begründet. Auch durch eine einvernehmliche Aufhebungsvereinbarung kann eine betriebliche Übung rückgängig gemacht werden. Dafür müssen jedoch beide Parteien zustimmen.

Ferner können das arbeitgebende Unternehmen und die angestellte Person eine Änderungskündigung vereinbaren. Dabei bieten Vorgesetzte ihren Teammitgliedern die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Bedingungen an. Auch hier gilt: Die arbeitnehmende Person muss der Vereinbarung für deren Wirksamkeit zustimmen.

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