26.10.2023

Schwerbehinderung bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern: Was muss der Arbeitgeber wissen?

Bei einer Schwerbehinderung haben Arbeitnehmer am Arbeitsplatz besondere Anforderungen und Ansprüche. Um eine Benachteiligung zu vermeiden, hat der Gesetzgeber zahlreiche Rechte geschaffen, die Menschen mit einer Schwerbehinderung ein optimal gestaltetes Berufsleben ermöglichen sollen. Welche dies sind und in welcher Form Arbeitgeber verpflichtet sind, sie umzusetzen, klärt dieser Artikel.

Wann gelten Menschen als schwerbehindert?

In Deutschland beziffert der sogenannte „Grad der Behinderung“ (kurz: GdB) die Schwere einer Behinderung. Dieser Grad ist in Zehnerschritten gestaffelt und kann zwischen 20 und 100 variieren.

Die Definition einer Schwerbehinderung ist in § 2 Abs. 2 SGB IX festgehalten. Darin heißt es:

„Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt [...]“

Eine entsprechende Feststellung erfolgt durch das zuständige Versorgungsamt. Dieses ist auch für die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises zuständig.

Sonderregelungen im Arbeitsrecht

Menschen mit einem GdB von mindestens 30 und weniger als 50 können beantragen, Schwerbehinderten mit einem GdB von > 50 gleichgestellt zu werden. Voraussetzung ist, dass sie sonst keinen geeigneten Arbeitsplatz bekommen oder behalten können. Der Antrag ist bei der Bundesagentur für Arbeit zu stellen.

Darüber hinaus sind Jugendliche und junge Erwachsene mit Behinderung während ihrer Zeit der Berufsausbildung kraft Gesetz Menschen mit Schwerbehinderung gleichgestellt – auch dann, wenn ihr GdB weniger als 30 beträgt.

Beschäftige mit Schwerbehinderung: Rechte und Ansprüche im Arbeitsalltag

Bei einer Schwerbehinderung stehen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Arbeitsalltag verschiedene Rechte und Ansprüche zu. Diese betreffen sowohl den Arbeitsplatz selbst als auch konkrete Regelungen des Arbeitsverhältnisses.

Gemäß § 154 SGB IX ist jedes Unternehmen mit jahresdurchschnittlich mehrindestens als 20 Arbeitsplätzen verpflichtet, eine bestimmte Anzahl von Beschäftigten mit Schwerbehinderung zu beschäftigen. Die vorgeschriebene Mindestanzahl hängt von der Betriebsgröße ab.

  • Zwischen 20 und 40 Arbeitsplätze: mind. 1 Person mit Schwerbehinderung
  • Zwischen 40 und 60 Arbeitsplätze: mind. 2 Personen mit Schwerbehinderung
  • mehr als 60 Arbeitsplätze: mind. 5 Prozent der Arbeitsplätze sind mit Personen mit Schwerbehinderung zu besetzen

 

Wichtig: Mehrere Betriebe eines Unternehmens gelten als Einheit. Ausbildungsplätze zählen nicht als Arbeitsplätze.

In einigen Fällen haben Arbeitgeber Anspruch auf einen Lohnzuschuss für schwerbehinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Dieser wird in Form des sogenannten Eingliederungszuschusses gewährt, jedoch nur dann, wenn durch die Einstellung im Betrieb etwaige Minderleistungen auftreten.

Dabei sind bis zu 30 Prozent weniger Arbeitsleistung vom Arbeitgeber hinzunehmen. Bei höheren Einbußen gewährt die Agentur für Arbeit – je nach Einzelfall – eine Entschädigung von bis zu 70 Prozent des veranschlagten Arbeitslohns für eine Dauer von maximal 36 Monaten. Bei schwerbehinderten Beschäftigten ab einem Alter von 50 Jahren kann die Förderung für bis zu 60 Monate ab einem Alter von 55 Jahren sogar für bis zu 96 Monate gewährt werden.

In diesem Zusammenhang lesenswert: Welche Zuschüsse erhalten Existenzgründer mit Behinderung?

Menschen mit einer schweren Behinderung sind auf ihr Verlangen hin von Mehrarbeit freizustellen. Eine entsprechende Regelung findet sich in § 207 SGB IX. Als „Mehrarbeit“ gilt jede Arbeit, die über die gesetzliche Arbeitszeit von 8 Stunden pro Tag hinausgeht. Sollte im Arbeitsvertrag jedoch eine tägliche Arbeitszeit von weniger als 8 Stunden vereinbart worden sein, darf das Unternehmen verlangen, dass die schwerbehinderte Person Überstunden macht – nämlich bis zu einer täglichen Arbeitszeit von 8 Stunden.

Schwerbehinderten Beschäftigten steht ein zusätzlicher Urlaubsanspruch von 5 Arbeitstagen pro Jahr zu (§ 208 SGB IX). Dieser wird jedoch nur anteilig gewährt. Das bedeutet: Wer nur 2 Tage pro Woche arbeitet, erhält auch nur 2 Tage zusätzlichen Urlaub. Gleichgestellte sind gem. § 151 Abs. 3 SGB IX von dieser Regelung ausgenommen.

Auch Beschäftigte mit einer Schwerbehinderung können eine Abmahnung oder Kündigung erhalten. Jedoch genießen Schwerbehinderte einen besonderen Kündigungsschutz. Arbeitgeber müssen vorab eine Zustimmung zur Kündigung beim zuständigen Integrationsamt einholen. Dies überprüft, ob die geplante Kündigung aufgrund der Behinderung selbst oder aus einem anderen Grund erfolgt. Im Rahmen der Überprüfung holt das Integrationsamt eine Stellungnahme des Betriebsrates sowie der Schwerbehindertenvertretung des Unternehmens ein und hört die betroffene Person an.

Bei einer ordentlichen Kündigung müssen Arbeitgeber eine Kündigungsfrist von mindestens 4 Wochen einhalten. Soll eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen werden, muss die Zustimmung des Integrationsamtes innerhalb von 2 Wochen seit Kenntnis des Kündigungsgrundes beantragt werden. Werden die o.g. Fristen nicht eingehalten, können sich schwerbehinderte Beschäftigte mithilfe einer Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung wehren.

Wissenswert: Das sog. Präventionsverfahren verpflichtet Arbeitgeber, bereits früh vorbeugend tätig zu werden, um eine Kündigung zu vermeiden. Unterbleibt ein solches Verfahren, besteht unter Umständen ein Anspruch auf Entschädigung (vgl. BAG-Urteil, Az.: 8 AZR 402/14).

Für viele Betriebe ist die Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderung neu und mit Fragen verbunden. Kommt es zu Uneinigkeiten, sind Unternehmen mit dem DEURAG Firmenrechtsschutz abgesichert vor rechtlichen Streitigkeiten.

Welche Fürsorgepflicht besteht bei Beschäftigten mit einer Schwerbehinderung?

Arbeitgebern, die Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigen, obliegt eine Fürsorgepflicht. So sind sie beispielsweise zur präventiven Verhinderung von Mobbing und zum Eingreifen bei einer Diskriminierung von schwerbehinderten Beschäftigten verpflichtet.

Darüber hinaus müssen Arbeitgeber die Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen behindertengerecht gestalten – also an die individuellen Bedürfnisse der jeweiligen Person anpassen, beispielsweise durch technische Hilfen wie Bildschirmlesegeräte, sofern diese erforderlich sind. Darüber hinaus muss bei der Einteilung der Arbeitszeit Rücksicht auf die Art der Behinderung genommen werden.

Und: Arbeitgeber sind dazu verpflichtet, schwerbehinderte Menschen so zu beschäftigen, dass diese ihre vorhandenen Fähigkeiten und Kenntnisse optimal nutzen können. Wer zum Beispiel eine Person mit schwerer Sprachbehinderung im telefonischen Kundenservice einsetzt, wird seiner Fürsorgepflicht unter Umständen nicht gerecht.

Arbeitgeber nimmt keine Rücksicht auf Schwerbehinderung: Was droht?

Arbeitgeber, die gegen ihre Pflichten verstoßen, sind schwerbehinderten Beschäftigten unter Umständen zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet. Verweigert der Arbeitgeber beispielsweise den Zusatzurlaub bei Schwerbehinderung, haben schwerbehinderte Arbeitnehmer Anspruch auf eine finanzielle Abgeltung – sofern der Arbeitgeber auf das Bestehen des Anspruchs hingewiesen hat. Ein entsprechendes Urteil hat der Europäische Gerichtshof gefällt (Az.: C-684/16)

Ein Anspruch auf Entschädigung kann auch bestehen, wenn Beschäftigte wegen ihrer Schwerbehinderung benachteiligt werden. So verurteilte das Bundesarbeitsgericht ein Unternehmen zur Zahlung von rund 2.900 Euro, weil es einen Bewerber aufgrund dessen Schwerbehinderung nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hatte (Az.: 8 AZR 375/15).

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