28.01.2021

Triage – Was ist rechtlich zulässig?

Der Mangel an Ärzten und Pflegepersonal, die Ressourcenknappheit und die Überlastung in der Notfallversorgung stellen das deutsche Gesundheitssystem in Zeiten von COVID-19 vor große Herausforderungen. Spitzt sich die Situation in den Krankenhäusern zu, könnte es dazu kommen, dass Triage-Entscheidungen getroffen werden müssen. Doch was bedeutet Triage im Detail? Nach welchen Kriterien sollen die schwerwiegenden Entscheidungen zur Patientenbehandlung getroffen werden?

Was bedeutet Triage?

Der Begriff Triage stammt aus dem Französischen und bedeutet soviel wie Auswahl oder Sichtung. Im medizinischen Bereich ist damit die Einordnung von Patienten in Kategorien je nach Schwere der Erkrankung gemeint. Ziel ist, durch die Beurteilung der Dringlichkeit der Behandlung eine Behandlungsreihenfolge zu bestimmen, um allen Patienten die bestmögliche Versorgung zukommen lassen zu können.

Wozu dient die Triage in der Notaufnahme?

Im normalen Betrieb der Notaufnahmen kommt das sogenannte Triagieren alltäglich zum Einsatz. Durch eine Ersteinschätzung werden Patienten in lebensbedrohlichen Situationen oder mit schweren Symptomen identifiziert und entsprechend priorisiert versorgt. Dabei geht die Triage in der Notaufnahme grundsätzlich davon aus, dass alle eintreffenden Patienten auch entsprechend versorgt werden können.

Welche Triage-Systeme in der Notaufnahme gibt es?

Weltweit kommen in den Notaufnahmen unterschiedliche Triage-Systeme zum Einsatz:

  • unstrukturierte Einschätzung, basierend zum Beispiel auf der Berufserfahrung des behandelnden Arztes
  • 3-stufige Systeme, die wie ein Ampelsystem aufgebaut sind, wobei „rot“ einen Notfall bedeutet, „gelb“ für eine dringliche Behandlung und „grün“ für eine nicht dringliche Behandlung steht
  • 5-stufige Systeme, die die Behandlungsdringlichkeit nach diversen Kriterien festlegt, ein Beispiel ist der Emergency Severity Index (ESI)


Die 5-stufigen Triage-Systeme gelten als die valideste und verlässlichste Methode, um eine Beurteilung über die Krankheitsschwere zu treffen. Die Kategorisierung erfolgt dabei im Hinblick auf die Behandlungsdringlichkeit von „sofort“ über „sehr dringend“, „dringend“ und „normal“ bis hin zu „nicht dringend“. Unter den 5-stufigen Modellen sind folgende neben dem ESI am verbreitetsten:

  • Australasian Triage Scale (ATS)
  • Canadian Triage and Acuity Scale (CTAS)
  • Manchester Triage System (MTS)
  • Emergency Severity Index (ESI)


Triagieren in Katastrophenfällen

Im Unterschied zur Triage in der Notaufnahme geht das Triagieren in Katastrophenfällen von der Prämisse aus, nicht alle Patienten angemessen versorgen zu können, aber so viele Menschen wie möglich. Vorrangig werden dabei jene behandelt, die die besten Chancen auf Genesung haben. Das Triagieren in diesem Sinne geht auf die Militärmedizin zurück. In Kriegszeiten etwa musste, unter Abwägung der Verfügbarkeit medizinischer Ressourcen, eine plötzlich hohe Anzahl an Verletzten behandelt und entsprechende Triage-Entscheidungen durch Ärzte getroffen werden.

Gibt es ein Triage-Gesetz in Deutschland?

Nein, ein Triage-Gesetz existiert in Deutschland nicht. Im Jahr 2020 hat die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) jedoch Handlungsempfehlungen in Form medizinischer S1-Leitlinien zur intensivmedizinischen Therapie von Patienten mit COVID-19 (AWMF-Register-Nr. 113/001) sowie über die Zuteilung intensivmedizinischer Ressourcen im Kontext der COVID-19-Pandemie (AWMF-Registernummer 040-013) publiziert. Juristisch bindend sind diese allerdings nicht.

S1-Leitlinie: Entscheidungen über die Zuteilung intensivmedizinischer Ressourcen im Kontext der COVID-19-Pandemie

Damit die Entscheidung, welche Patienten intensivmedizinisch behandelt werden und welche palliativ versorgt werden auf einer fundierten Grundlage getroffen werden kann, haben Experten aus acht Fachgesellschaften, federführend darunter die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), klinisch-ethische Empfehlungen für Mediziner erarbeitet: Die S1-Leitlinie „Entscheidungen über die Zuteilung intensivmedizinischer Ressourcen im Kontext der COVID-19-Pandemie“. Diese soll als Entscheidungsunterstützung für das medizinische Personal dienen, wenn im Zuge der Corona-Pandemie moralisch schwierige Triage-Entscheidungen getroffen werden müssten.

Welche Triage-Entscheidungskriterien sind gemäß der medizinischen S1-Leitlinie vorgesehen?

Die Triage-Empfehlungen verfolgen den Anspruch, möglichst viele Menschen medizinisch zu versorgen. Sie sollen nur zum Einsatz kommen, wenn die vorhandenen Ressourcen nicht ausreichen und daher unausweichlich entschieden werden muss, welche intensivpflichtigen Patienten intensivmedizinisch behandelt werden und welche nicht bzw. nicht mehr.

Übrigens: In dem Anspruch unterscheiden sich die Triage-Empfehlungen beispielsweise von den italienischen Triage-Richtlinien, nach denen nicht möglichst viele Menschen, sondern möglichst viele Lebensjahre gerettet werden sollen.

Einschätzung nach klinischer Erfolgsaussicht

Der Empfehlung zufolge soll sich die Priorisierung von Patienten am Kriterium der klinischen Erfolgsaussicht orientieren. Vorrangig werden danach die Patienten intensivmedizinisch behandelt, die durch diese Maßnahmen eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit haben.

Priorisierung erfolgt nicht nach Alter oder Grunderkrankung

Aufgrund des Gleichheitsgebots ist eine derartige Priorisierung:

  • nicht vertretbar nur innerhalb der Gruppe der COVID-19-Erkrankten, sondern schließt alle Patienten ein, die eine Intensivbehandlung bedürfen
  • nicht zulässig aufgrund des Alters, sozialer Merkmale oder bestimmter Grunderkrankungen oder Behinderungen


Entscheidung nach dem Mehraugen-Prinzip

Die Triage-Entscheidung sollte zudem unter Beteiligung von

  • zwei intensivmedizinisch erfahrenen Ärzten, einschließlich Primär- und Sekundärbehandler beteiligter Fachgebiete,
  • einem erfahrenen Vertreter des Pflegeteams,
  • ggf. weiteren Fachvertretern, beispielsweise aus dem Bereich Klinische Ethik


erfolgen.

Darüber hinaus sind die Entscheidungen vorzugsweise im Konsens zu treffen, regelmäßig neu zu evaluieren, bei Bedarf anzupassen, transparent gegenüber Patienten, Angehörigen und rechtlichen Stellvertretern zu kommunizieren sowie sachgerecht zu dokumentieren.

Das Flowchart „Entscheidungsfindung bei nicht ausreichenden Intensiv-Ressourcen“ veranschaulicht die empfohlene Vorgehensweise.

Wie sieht die Rechtslage bei einer Triage-Entscheidung in Deutschland aus?

Insgesamt ist die rechtliche Lage unzureichend im Hinblick auf die Corona-Pandemie und auf zu treffende Triage-Entscheidungen. So existiert eine rechtliche Grundlage zu der Frage, wen Ärzte anhand welcher Kriterien konkret bei Ressourcenknappheit retten sollen, in Deutschland nicht.

Für die Ärzte bedeutet die Triage rechtlich betrachtet eine Pflichtenkollision: Der Arzt kann seiner Behandlungspflicht nicht gegenüber mehreren Patienten gleichermaßen nachkommen. Trifft der Arzt eine Triage-Entscheidung vor dem Hintergrund, dass nicht genügend Ressourcen verfügbar sind, kann dieser dafür nicht strafrechtlich belangt werden – und zwar unabhängig von den Gründen, die zur Entscheidungsfindung herangezogen wurden. Herangezogen wird hierzu die Vorschrift über den rechtfertigenden Notstand, vgl. §34 Strafgesetzbuch (StGB). Heikel und ungeklärt ist allerdings die Situation, wenn aktiv einem Patienten ein Beatmungsgerät abgenommen wird, um dieses einem anderen Patienten zu überlassen. Wahrscheinlich wird es von rechtlicher Seite zu der Lage auch keine Änderungen geben, denn das Grundgesetz verbietet der Politik gem. der in Artikel 1 festgeschriebenen Würde der Menschen in diesen Bereich einzugreifen. Dies bestätigte das Bundesverfassungsgericht im August 2020.

Patientenwille: Konkrete Formulierungen sind nötig

Mit der Patientenverfügung können die Art und Weise der ärztlichen Behandlung oder einer pflegerischen Begleitung für den Fall geregelt werden, dass der Patient selbst dazu nicht mehr imstande ist. Diese sollte möglichst konkret formuliert sein und anführen, in welchen Behandlungssituationen welche Maßnahmen durchgeführt werden dürfen und welche abgelehnt werden. Formulierungshilfen für eine Patientenverfügung stellt beispielsweise das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz bereit.

Patientenverfügung um Zusatz für COVID-Erkrankung ergänzen

Da auch im Falle einer Corona-Erkrankung eine vorliegende Patientenverfügung im Vorfeld der intensivmedizinischen Behandlung berücksichtigt wird, kann es sinnvoll sein, diese um einen entsprechenden Zusatz zu ergänzen. Caritative Dienstleister wie der Malteser Hilfsdienst e.V. bieten Mustervorlagen für eine Ergänzung der Patientenverfügung für den Fall einer COVID-19 Erkrankung.

Tipp: Hilfestellung bei der Erstellung oder der Anpassung einer Patientenverfügung können ALLRECHT Kunden im Rahmen ihrer Rechtsschutzversicherung als eine der zahlreichen Service-Leistungen in Anspruch nehmen.

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